Artikel

Auf Achse: Rhenus Automotive eröffnet erstes Produktionswerk in China

Seit Ende Mai 2021 fertigt Rhenus Automotive in Shenyang, im Nordosten der Volksrepublik, Vorder- und Hinterachsen für ein neues BMW-Modell. Hoch automatisierte Anlagen vereinen Industrie 4.0 und smart manufacturing. Zur Aufgabe des Automobillogistikers gehören auch die weltweite Beschaffung von Komponenten, die Qualitätssicherung und die Steuerung der Supply Chain. Dr. Marcus Ewig, Geschäftsführender Direktor der Rhenus Automotive, berichtet über den Aufbau des Werks, Herausforderungen und Entwicklungschancen in China.

Redaktion: Herr Dr. Ewig, Ende April haben Sie die Eröffnung des ersten Produktionswerks der Rhenus Automotive in China gefeiert. Welche Bedeutung hatte dieser Tag für Sie?

ME: Nicht nur für mich persönlich, sondern für alle unsere Mitarbeiter und Partner, die in den vergangenen Monaten intensiv am Abschluss der Vorbereitungen beteiligt waren, war das ein besonderer Tag. Unser Kunde, aber auch politische Repräsentanten wie der Bürgermeister von Shenyang und der deutsche Generalkonsul haben an der Eröffnung teilgenommen. Ein solches Projekt entsteht nicht über Nacht. Wir haben 18 Monate lang auf den Start der Achsenfertigung hingearbeitet und wurden dabei von vielen Seiten großartig unterstützt.

Redaktion: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie nun Achsen für neue BMW-Modelle in Shenyang fertigen?

ME: Wir wurden 2019 von der BMW Group als Supplier für die Vorder- und Hinterachse neuer Fahrzeugmodelle am Standort Shenyang nominiert. Die Achsen werden just-in-sequence zum BMW-Werk in Dadong geliefert. Daher war es wichtig, dass unsere Produktionsstätte im Umkreis des Werks aufgebaut wird. Das BMW-Werk befindet sich nur etwa zehn Kilometer entfernt von unserem Standort und ist inklusive Verladung in einer halben Stunde erreichbar.

Redaktion: Wie ging es nach der Nominierung weiter?

ME: Die Anlagen und das Equipment wurden von uns entwickelt und gemeinsam mit einem deutsch-chinesischen Partner umgesetzt. Die Implementierung der Anlagen erfolgte dann ab Januar 2021.

Redaktion: Erstmals eine Produktion in China aufzubauen ist sicherlich nicht einfach. Entspricht das auch Ihren Erfahrungen?

ME: Zwar ist Shenyang unser erster asiatischer Produktionsstandort, aber Rhenus Automotive verfügt in vielen Ländern wie den USA, Spanien, Deutschland, Polen und Russland über sehr viel Erfahrung als Partner der Automobilindustrie. Auch haben wir parallel zum Aufbau der Produktionsstätte eine Holding in Shanghai etabliert, die die übergreifenden Prozesse begleitet, steuert und auch unsere weitere Entwicklung im Land vorantreiben soll. Zudem haben wir den Vorteil, dass wir als Teil der Rhenus Gruppe auf bereits bestehende Strukturen in China zurückgreifen konnten.

Redaktion: Was war für Rhenus Automotive die größte Herausforderung bei der Etablierung des Produktionsstandortes?

ME: Neben allen üblichen Herausforderungen im Rahmen eines Hochlaufs hat uns die Corona-Pandemie vor einige Hürden gestellt. Dazu zählten vor allem die zeitweise sehr strikten Einreisebestimmungen und Quarantäneverordnungen. So war es nicht immer möglich, Experten aus anderen Standorten vor Ort einzusetzen. Das konnten wir allerdings durch ein starkes lokales Team gut ausgleichen. Wir haben auch sehr kooperative Partner und Behörden vorgefunden, die uns immer unterstützt haben.

Redaktion: Wie sieht die Arbeit von Rhenus Automotive jetzt in Shenyang konkret aus?

ME: Kernaufgabe ist die Produktion der Vorder- und Hinterachse für ein neues BMW-Modell als Tier-1-Supplier. Im Unterschied zu Teile- und Komponentenlieferanten stellen Tier-1-Supplier komplexe Systeme und Module bereit. Der Hersteller, in unserem Fall BMW, übernimmt dann die Endmontage.

Redaktion: Können Sie uns einmal beschreiben, wie eine Achsenfertigung abläuft?

ME: Insgesamt durchläuft die Vorderachse bei der Produktion 17 Stationen, die Hinterachse sogar 22. Wir setzen in Shenyang auf hoch automatisierte Anlagen, die die Konzepte und Technologien von Industrie 4.0 und smart manufacturing miteinander vereinen. Das Ergebnis sind stark vernetzte Anlagen, die die hohen Kundenanforderungen im Hinblick auf Ausbringung und Qualität bestens erfüllen.

Redaktion: Was zeichnet den Standort besonders aus?

ME: Neben den erwähnten Anlagen zur Montage, die auf den neusten technologischen Möglichkeiten basieren, liegt unser Schwerpunkt auf einer kompletten Vernetzung jeglicher Komponenten und Werkzeuge. Das bedeutet, es findet eine übergreifende Kommunikation auf der Equipment-Ebene statt, die dann auf der Prozess-Ebene bei den einzelnen Produktionsschritten fortgeführt wird. Alle relevanten Daten werden in einer Manufacturing-Cloud abgespeichert, die für zahlreiche weitere Prozesse wie Qualitätssicherung und Effizienzsteigerung herangezogen wird. Wir sprechen hier von den praktischen Anwendungen der Industrie 4.0.

Redaktion: Rhenus betreibt oftmals Multi-User-Zentren. Sind Sie am Standort Shenyang exklusiv für die BMW Group tätig?

ME: Wir arbeiten hier ausschließlich im Auftrag der BMW Group. Nicht nur, weil alle Kapazitäten mit dem Kunden bereits ausgelastet sind. In der Achsproduktion sind die Anlagen grundsätzlich spezifisch auf den Kunden zugeschnitten.

Redaktion: Übernimmt Rhenus auch die Beschaffung der vorgelagerten Komponenten zur Achsenfertigung?

ME: Auch das zählt zu unseren Aufgaben. Man darf das nicht unterschätzen. Wir sprechen hier von einem weltweiten Zuliefernetzwerk unter anderem aus den USA, Japan, Korea und Europa, das von uns gesteuert wird. Dazu gehört auch der Zoll. Darüber hinaus übernehmen wir das Qualitätsmanagement und die Lieferantensteuerung nach dem Directed-Buy-Prinzip. Bei diesem Modell gibt der OEM dem Lieferanten vor, bei welchen Unterlieferanten er das Setzteil beziehen muss. Für unsere Achsenproduktion beziffert sich die Anzahl der Vorlieferanten auf rund 100 weltweit.

Redaktion: Planen Sie in China zukünftig die Eröffnung von weiteren Produktionsstätten?

ME: China ist für uns ein wichtiger Wachstumsmarkt, der bei unserer Internationalisierungsstrategie Priorität hat. Das ist übrigens nicht erst jetzt so. Wir analysieren den chinesischen Markt schon seit einigen Jahren und haben uns ganz bewusst zu diesem Zeitpunkt und mit dem Kunden BMW Group für den Markteinstieg entschieden. Wir glauben, dass das Potenzial Chinas in unserem Dienstleistungssegment sich erst in den nächsten Jahren vollständig zeigen wird. Denn neben den bekannten Herstellern treten immer mehr lokale Partner in den Markt ein, die weitere Produktionskonzepte und -philosophien mitbringen. Wir werden hier eine große Dynamik sehen.

Redaktion: Wir dürfen also gespannt sein. Vielen Dank für das Gespräch.